Versprechen und Verpflichtung

Aktionstag zu 75 Jahren Grundgesetz mit Reden und Interviews auf dem Riedstädter Rathausplatz

Bürgermeister Marcus Kretschmann während seiner Ansprache. Im Hintergrund zu sehen sind die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Jennifer Muth, Pressesprecherin Anke Mosch sowie Gustav Kauer, Hanna Müller und Dr. Wolfgang Weber (v.li.).
Die Ausstellung mit Grundrechtsartikeln auf dem Rathausplatz.
Hanna Müller, Anke Mosch und Dr. Wolfgang Weber im Gespräch.
Für die musikalische Begleitung sorgte Musiklehrer Uwe Schatter von der MNS.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Jennifer Muth (li) berichtete Wissenswertes rund um den Artikel 3.

Mit einem Aktionstag machten die Büchnerstadt Riedstadt und das Aktionsbündnis gegen Faschismus und für Demokratie, Vielfalt und Menschenrechte am Jubiläumstag, dem 23. Mai, auf 75 Jahre Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aufmerksam. Erklärtes Ziel war es, die Verfassung als Grundlage des demokratischen Zusammenlebens mehr ins Bewusstsein zu holen.

Zu diesem Zweck hingen schon Tage zuvor in allen Riedstädter Stadtteilen Plakate mit einzelnen Grundgesetzartikeln aus. In einer Sternfahrt brachten dann Radfahrende am 23. Mai einige der Plakate aus den fünf Stadtteilen zum Rathausplatz, wo sie seitdem als kleine Ausstellung an Bauzäunen zu sehen sind. „Es geht darum klarzustellen, wie wichtig es ist, für Demokratie einzustehen“, erklärte Werner Schmidt, Vorsitzender des Vereins BüchnerFindetStatt und Sprecher des Aktionsbündnisses, in seiner Begrüßung zu der anschließenden Versammlung auf dem Rathausplatz.

Bürgermeister Marcus Kretschmann erinnerte an die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, „drei Jahre nach Ende des schrecklichsten Krieges, den die Welt bis dahin erleben musste“. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten aus der deutschen Geschichte gelernt. „Erinnerung und Dankbarkeit – das ist das, was mich bewegt, wenn ich an das Grundgesetz denke. Erinnerung, welche Trümmer zuvor erst verursacht wurden und Dankbarkeit, dass es uns Freiheit und Frieden bis heute gesichert hat“, betonte der Bürgermeister. „Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und so vieles mehr sind die Grundlage unseres Zusammenlebens geworden. Ich möchte diese Rechte nicht eine Sekunde missen“, führte er weiter aus. Und verwies darauf, dass viele Menschen auf dieser Welt diese Rechte nicht hätten.

Einzelne Grundrechtsartikel waren das Thema von Interviews, die Pressesprecherin Anke Mosch mit verschiedenen Gesprächspartnern führte. Die zentrale Aussage des Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht wie ein Leitmotiv am Anfang der Verfassung. Gemeinsam mit dem Artikel 2 „jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ war er Grundlage der Unterhaltung, die sie mit dem Mediziner Dr. Wolfgang Weber und Hanna Müller führte, die beide genauso alt wie das Grundgesetz sind. „Ich konnte mein Leben so gestalten wie ich es wollte“, erklärte Weber auf die Frage nach den praktischen Auswirkungen des Grundgesetzes auf sein Leben. Als Arztsohn und aus einer katholischen Familie stammend hätte er in der DDR wahrscheinlich nicht Arzt werden dürfen. Und auch Müller betonte, dass auch ihr alle Möglichkeiten offen gestanden hätten, weil Frauen aufs Gymnasium gehen und studieren konnten. Als Stewardess habe sie viele Länder bereist und erfahren, in wie vielen Gegenden Unfreiheit und Unterdrückung herrschten. Viel Applaus bekam sie für ihre Aufforderung „es ist auch die Pflicht der Bürger, Toleranz und Großmut zu zeigen, damit das Grundgesetz bestehen bleibt.“

Die Riedstädter Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Jennifer Muth sprach zum Artikel 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Die vier Mütter des Grundgesetzes (bei 61 Vätern) hätten spürbaren Einfluss auf die Verfassung genommen. Doch es dauerte, bis 1962 Ehefrauen selbst ein Konto eröffnen konnten und 1969 geschäftsfähig wurden. Immer noch gebe es Ungleichheiten bei Entlohnung und der Aufteilung von Sorgetätigkeiten zwischen Männer und Frauen. Einen regelrechten Rückschritt habe es in der Pandemie gegeben, in der bei Kita- und Schulschließungen bei gleichzeitigem Homeoffice vieles an den Frauen hängengeblieben sei.

Gustav Kauer, der wie Dr. Weber und Müller genauso alt wie das Grundgesetz ist und einen behinderten erwachsenen Sohn hat, erzählte zum letzten Satz des Artikels 3 („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“) von grundsätzlich guten Erfahrungen, aber auch von Problemen der Teilhabe, weil es kaum Möglichkeiten gebe, für den Sohn Transporte aus dem Heim zu Familienfesten zu bekommen. Der evangelische Pfarrer Jürgen Bode aus Leeheim bejahte die positive Aussage des Artikels 4 zur Religionsfreiheit. Für die musikalische Begleitung sorgte Musiklehrer Uwe Schatter von der Martin-Niemöller-Schule.

Die Plakate mit den Grundrechtsartikeln werden noch bis zur Europawahl am 9. Juni hängen bleiben, kündigte Bürgermeister Kretschmann an und appellierte: „Wählen Sie eine demokratische Partei, wählen Sie die Freiheit, nicht die Unfreiheit und die Unzufriedenheit. Wählen Sie Zuversicht und Hoffnung und nicht die Angst. Vor allem aber: wählen Sie.“